Gisa von Kowitz

Writing & Photography

Frei

Nebel hing noch in den Wiesen, die das Dorf umsäumten. Mit zitternden Händen schlürfte sie an ihrem heißen Kaffee. Das Haus war zu still, zu groß, sie kam sich einsam und allein vor. Verloren…
Das Knacken der Bretter im obersten Stockwerk riss sie aus ihren Gedanken. Sie blickte hoch zur Decke, als ob sie hindurch sehen könnte. Dann… Der Schlag einer Autotür auf dem Platz vor dem Haus. Ihr Blick glitt zur Küchenuhr. 7.38 Uhr.
Das Schlüsselbund klapperte beim Aufschließen der Haustür. Ihr Atem beschleunigte sich. Sie hatte den Drang wegzulaufen, sich zu verstecken…
Langsam stellte sie ihre Tasse auf die rotgeblümte Untertasse; so leise wie möglich. Sie wollte die Stille bewaren, denn sie würde sie nie wieder so wahrnehmen.
Eine eiskalte Hand legte sich auf ihren Nacken.
“Bist ja schon angezogen? Is doch noch so früh.” sagte er mit seiner zu lauten Stimme, der Stimme, die die Stille vertrieb.
Seine Hand löste sich von ihrem Nacken und griff nach ihrer Tasse Kaffee.
“Mann is das kalt draussen. Ich hätte mich wärmer anziehen sollen.”
Das laute Kreischen ihres Stuhls auf den Fliesen schnitt durch die Stille, die heute nicht gehen wollte. Sie schebte heiss in der Küche, brannte auf ihrer Haut.
Sie ging zum Schrank, als er sich wie immer auf seinen Platz setzte. Sie nahm eine Tasse heraus und füllte sie mit Kaffee.
Ihr war plötzlich sehr bewusst, dass jeder Handgriff, jede Bewegung, sich ueber Jahre hinweg in ihr eingeprägt hatte.
Sie ging zurück zum Tisch, ohne ihm auch nur einen Blick zu widmen. Sie goss etwas Milch in ihren Kaffee, nur einen kleinen Schluck. So mochte sie es.
Dann ging sie zurück zum Schrank und schaute ihm beim Essen zu. Nicht in sein Gesicht, nur auf seine Hände, die sich selbstsicher über den Tisch bewegten, wie jeden Morgen. Als ob er eine Orgel betätigte, dachte sie, jeder Griff sass.
Ihr Herz begann schneller zu schlagen; mit jedem Bissen, den er nahm und mit jeder Minute, die sie sich zwang nicht auf die Uhr zu schauen.
Als er dann auch die zweite Hälfte des Brötchens verschlungen hatte und den letzten Schluck Kaffee trank, stockten die Tränen in ihrem Hals.
Schnell nahm sie einen weiteren Schluck von ihrem Kaffee.
Wieder durchbrach das Rutschen seines Stuhles auf den Fliesen die Stille des Hauses. Ihr Kopf schnellte herum, als sie eine Autotür auf dem Hof hörte. Hitze stieg in ihr Gesicht. Ängstlich schaute sie zu ihrem Mann.
Er hatte es nicht gehört, weil er die Zeitung durch blätterte, die für ihn vor dem Radio bereitlag.
Wie immer durfte es erst eingeschaltet werden, wenn er das Frühstück beendet hatte. Eine kleine Bewegung seines Zeigefingers und leises Murmels der Nachrichten füllte die Küche.
Mit zitternden Händen stellte sie ihre Tasse in die Spüle neben ihr, vorsichtig… leise.
Sie musste an ihm vorbei, wenn sie durch die Küchentür zum Flur wollte.
Gerade als sie tief Luft holte und den ersten Schritt wagen wollte, drehte er sich um und ging, in die Zeitung versunken, zum Tisch zurück.
“Willst du nicht abdecken?” fragte er, als er sich setzte.
Damit brach alles in ihr zusammen, sie rannte zur Küchentür, durch den Flur zur Haustür.
Ihre Hände griffen nach der Türklinke, als sie an ihren Haaren zurueckgezogen wurde.
Sie kreischte auf und schlug nach seinem Arm.
“Was hast du denn vor, kleines Fräulein? Glaubst du wirklich, ich würde den Fehler zweimal machen ?”
Sie griff nach der Haustür. Sie war verschlossen.
Mit einem heftigen Stoss rammte er ihr Gesicht in das dunkle Holz. Ein bekannter Schmerz durchzuckte ihr Gesicht. Sofort zog er sie wieder zurück, weg von der Tür, zurück in den Flur, zurück in das Haus!
Ein Schlüssel drehte sich im Schloss der Haustür. Sekunden später sprang sie auf.
Licht durchflutete den dunklen Flur, als er sie fallen lies. Die Polizisten ergriffen ihn noch bevor er die Stufen zum Keller erreichen konnte.
“O Gott!” Die bekannte weibliche Stimme ihrer Nachbarin war wie eine Feder, die sie an ein weiches Kopfkissen erinnerte. Endlich sank sie auf den kalten Fliesen des Flures zusammen. Sie bemerkte nicht den letzten Fusstritt, den er ihrem Bein gab, als sie ihn aus dem Haus führten.
Sie spürte nicht wie ihre Nachbarin sie aufzusetzen versuchte, oder wie der Notarzt ihr das Blut vorsichtig von der Nase wischte.
“Keine Angst! Sie sind ihn los; sie sind in Sicherheit.” Die Stimme der Nachbarin schien weit weg, doch sie hatte sie gerettet. Es hatte geklappt, wirklich geklappt! Nach wochenlanger Planung, heimlichen Telefonaten und Treffen beim Einkaufen hatte sie Recht behalten. Es war doch möglich!
“Sie bleiben dann erstmal bei mir. Das Bett habe ich schon bezogen…” Die Worte prasselten nur so auf sie nieder. Doch sie war dankbar, denn ohne sie hätte sie es nicht geschafft. Dann war dort noch eine männliche Stimme im Hintergrund, die lauter wurde.
“… es wird eine lange Zeit dauern bis er wieder rauskommt…” Wieder rauskommt…?!

Ende

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