Gisa von Kowitz

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Blut

Blut

Feuerrot brannten die Wolken als die Sonne die Stadt verließ.
Wie in Trance schleppte sie sich durch die Strassen. Erst hatte sie gefroren, doch jetzt hatte sich ihr Körper erwärmt. Er fühlte sich warm an, wie das Blut, das aus ihrem Arm gequollen war. Ihre Bluse klebte jetzt an jener Stelle, fast trocken, doch schmerzlich erinnerte sie mit jeder Bewegung an das, was geschah vor einer kleinen Ewigkeit.
Wohin sie ging, wusste sie nicht, nur eines, dass sie nicht nach Haus konnte… nie mehr vielleicht.

Dann, als sie nochmals zum Himmel schaute, weg von der Sonne in die kommende Dunkelheit; es war dann, dass sie die Einsamkeit wieder spürte. Nur sie gab es noch und niemand sonst.
Plötzlich erschien ein Tor vor ihr. Es war aus verrostetem Eisen und mindestens doppelt so hoch wie sie. Und dahinter… Dahinter lag der Platz, nachdem sie sich so lange gesehnt hatte. Sie wusste von der Lücke im Zaun, nur ein paar Schritte entfernt, und als sie sich durchgezwängt hatte, ging sie zu jenem Grab unter der einsamen Trauerweide. Langsam sank sie in die Knie und legte ihren schweren Körper auf die Steinplatte.
Sie könnte sterben jetzt, in diesem Moment; tief in ihr wusste sie, dass sie es wollte. Dann könnte sie hier bleiben… für immer.
Sie nahm das Messer aus ihrer Jeans. Es gehörte ihrem Vater. Schon als sie noch ein Kind gewesen war, hatte er es immer bei sich getragen. Erst vor ein paar Tagen hatte er es verlegt und sie hatte es gefunden.
Sie setzte sich auf und lehnte ihren Oberkörper gegen den Grabstein.
Vorsichtig schob sie den Ärmel ihrer Bluse hoch. Sie zuckte zusammen als sie etwas verkrustetes Blut von der Wunde riss. Langsam quoll es wieder aus dem tiefen Einschnitt… so wunderschön.
Es war etwas ganz besonderes, Blut, nichts eigentlich und doch alles.
Sie liess das Messer aus ihrer Hand gleiten, um dann ihren kleinen Finger in das warme Nass zu tunken. Die Dunkelheit hatte sie fast umhüllt, als sie den Finger auf ihre Wange legte. Ganz sanft fuhr sie über ihre Haut und dann über ihre Lippen… so zart, so menschlich.
Sie hob das Messer auf und öffnete es. Nichts Besonderes eigentlich. Rostfreier Stahl mit rotem Plastik.
In diesem Moment sah sie wieder die Gesichter ihrer Eltern, die zu früh von der Arbeit nach Haus gekommen waren. Sie hatte sie nicht gehört, weil sie die Musik zu laut aufgedreht hatte. Sie hassten das; ja sie selbst bevorzugte sie Stille, die sie jetzt umgab. Doch sie hatte sie gebraucht, die Musik, weil sie sich gefürchtet hatte. Doch jetzt nicht mehr. Auch wenn ihre Eltern sie immer noch wie einen Teenager behandelten; sie war älter jetzt und sie wusste was sie tat, tun wird, jetzt.

Sie setzte die scharfe Seite des Messers auf ihre zarte Haut zwischen der Wunde und ihrem Handgelenk.
Jetzt wusste sie wie es sich anfühlte. Sie brauchte keine Angst mehr zu haben.
Ganz langsam begann sie kleine Schnitte in ihre Haut zu ritzen. Schon fiel der erste Tropfen ihres warmen Blutes auf den Stein unter ihr, als sie aufsah und ihn erblickte. Zu weit weg um ihn genau zuerkennen, doch sie wusste, dass er es war. Er war hier, um sie zu retten, sie mit zu nehmen und er würde sie nie wieder verlassen.
Tränen rollten ihre Wange herunter, wie das Blut an ihrem Arm. Sie hatte es so geliebt, wenn er sie zärtlich mit seinen warmen Lippen dort geküsst hatte. Zuerst auf ihrer Stirn, dann auf ihrer Schläfe und dann, endlich, hatte er ihre Wange ganz sanft berührt.
Sie spürte wie die Kälte sich tief in ihr ausbreitete und er stand immer noch dort, unbeweglich, an der selben Stelle. In ihrem Kopf begann der sanfte Kampf zwischen Wärme und der Dunkelheit, die sie umhüllte.
Und dann erschien es ihr wieder; jenes Bild, das sie so tief in ihre Erinnerung verbannt hatte, wie nur manchmal in ihren Träumen. Es was das Bild von ihm, getränkt in Blut.
“Und das Blut wird uns wieder zusammenführen… für immer.”
Ihre Augen starrten auf die entfernte Figur in der Dunkelheit, als ihre Lippen sich nur schwach bewegten. Doch er stand nur da und bewegte sich nicht. Er sollte sie wieder in die Arme nehmen, so wie er es immer getan hatte, doch er bewegte sich nicht.
Selbst als ihre Lider ihre Augen bedeckten, sah sie ihn noch dort stehen, unbeweglich, so wie sie ihn in ihren Armen gehalten hatte. Sie hatte die Wärme seines Blutes in ihrem Schoss gespürt, als er noch zitterte. Sie hatte ihn mit ihrem Körper erwärmen wollen, aber er war ihr entglitten.
Zu lange war es nun her, dass sie ihn nicht gesehen hatte, doch jetzt war er gekommen und…

 

Ende

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